„Warum? Nein!“ sagte ich.
„Ruhe Marie! Konzentriere dich auf deine Arbeit, sonst muss ich sie dir auch noch abnehmen!“
Tim packte seine Sachen und verließ wortlos den Raum. Ich wand mich wieder dem Bogen Papier vor mir zu und schrieb die letzten zwei Sätze. Ich ging nach vorne, gab die Arbeit ab und verließ ebenfalls den Raum. Ich rannte die Treppe hinunter und sah Tim gerade durch die Tür nach draußen gehen. Ich rannte ihm hinterher. Als ich ihn endlich eingeholt hatte, fragte ich atemlos:
„Wieso hast du das getan? Das war mein Problem. Jetzt hast du eine 6!“
„Ja, aber ich bekomme trotzdem noch eine 3, weil ich mündlich gut stehe. Du hättest eine 5 bekommen.“
Ich starrte ihn ausdruckslos an.
„Das hättest du nicht tun müssen. Das war mein Problem. Aber…Danke.“
Ich drehte mich um und ging zurück in die Schule. Ich lehnte mich an die Heizung und dachte nach. Ich fühlte mich schlecht. Wenige Gedanken später klingelte es. Nach kurzer Zeit stand Lara neben mir.
„War dieser Zettel, der, von dem ich denke, welcher es war?“ Sie war selbst verwirrt von diesem Satz.
„Ja…“ sagte ich betrübt.
„Wieso hat er das getan?“
„Weil ich sonst eine 5 aufm Zeugnis bekommen hätte.“
„Deshalb? Man hast du ein Glück! So einen hätt ich auch gern mal!“
Der restliche Schultag verlief ereignislos. Ich starrte Tim durchgehend an, versucht mir ein Bild zu machen, warum er sowas für mich tat. Er schaute mich den ganzen Tag nicht mehr an. Gegen Abend traf ich mich mit Lara an der Sporthalle. Wir hatten Hockeytraining und ich setzte mir als Ziel, mich richtig auszupowern. Ich war voll bei der Sache, nahm jedem den Ball ab und bekam mehrmals Lob von meiner Trainerin. Zum Abschluss stellte sie die Spielerliste für das kommende Spiel am Wochenende auf.
„Also als Kapitän spielt am Samstag Marie. Du hast heute wirklich sehr gut gespielt und gezeigt, dass du es willst! Der Rest der Mannschaft setzt sich zusammen aus: …“
Ich hörte nicht mehr zu. Mir war auf einmal ganz schwindelig.
„Juhu!! Ich spiele auch!“ rief Lara. „Hey alles ok? Du siehst nicht gut aus. Komm, wir gehen mal rein und setzen uns hin ja?“
Sie stützte mich und zusammen gingen wir vom Feld in die Halle in Richtung Umkleide.
„Mir geht’s schon wieder besser.“ sagte ich wahrheitsgemäß.
„Sicher?“ fragte Lara.
„Ja sicher.“
Nachdem wir uns umgezogen hatten, verabschiedeten wir uns und ich ging nach Hause. Meine Mutter war zur Abwechslung mal zu Hause und kochte. Ich holte Teller und Besteck aus dem Schrank und deckte den Tisch.
„Na wie war Hockey, mein Schatz?“ fragte meine Mutter.
„Gut. Ich bin am Samstag als Kapitän aufgestellt!“
„Wirklich? Das ist ja toll!“
Mein Vater und mein Bruder kamen auch an den Tisch und wir aßen Spagetti Bolognese.
Nachdem ich meinen Teller geleert hatte, fragte meine Mutter:
„Und wie war die Physikarbeit?“
„Woher weißt du das?“
„Oben liegt ein Zettel mit den Daten deiner Arbeiten! Also?“
„Ging.“ War meine knappe Antwort. Ich nahm meinen Teller, stellte ihn in die Spülmaschine und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum.Ich wollte nicht weiter über das Thema reden. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch und machte meine restlichen Hausaufgaben. Ich schaltete noch kurz den Computer ein und kontrollierte meine E-Mails. Da war eine Mail von Herrn Fink.
Ich möchte, dass ihr alle ein Referat in Chemie haltet. Die einzelnen Themen werde ich noch mit euch besprechen.
Hier ist die Gruppenaufteilung. Ich bin nach dem Alphabet gegangen:
….
….
….
Marie Veißt, Tim Weisel, Elisa Willrab
….
….
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Anton T. Fink
Na toll. Das war ja mal wieder klar. Das Schicksal will es so. Ein Referat mit Tim. Na wenigstens war Elisa noch dabei.
Am nächsten Tag war jedoch von Elisa nichts zu sehen. Sie war krank. Und wir hatten mal wieder das Glück, das Referat als erste zu halten. Tim kam nach der zweiten Stunde zu mir:
„Du wir müssen uns treffen. Wann hast du Zeit?“
„Äm also die restliche Woche siehts bei mir schlecht aus. Hockeytraining und Lernen für die Mathearbeit nächste Woche.“
„Wie siehts mit heute aus?“ fragte er.
„Aber Elisa ist krank!“
„Dann müssen wir das wohl erst einmal alleine machen.“ sagte er.
„Ok.“
„Um 3 Uhr bei mir?“ fragte er.
„Ja, gut. Gibst du mir deine Adresse?“
Er schrieb sie auf einen kleinen Zettel und drückte ihn mir in die Hand.
Um 3 Uhr stand ich vor einem netten Einfamilienhäuschen am Stadtrand und klingelte. Eine blonde Frau öffnete die Tür und ich erkannte an dem Lächeln, dass sie Tims Mutter war. Sie ließ mich herein und schickte mich ins Dachgeschoss. Bevor ich klopfen konnte wurde die Tür schon von innen geöffnet und Tim grinste mich an.
„Hi.“ sagte er.
„Hey.“ erwiderte ich.
„Komm doch rein!“
Sein Zimmer sah meinem ziemlich ähnlich. Es war groß, hell und modern. Die Wände waren gelb gestrichen und die Möbel aus einem hellen Holz. Er zeigte mir einen Stuhl an einem kleinen Tischchen und ich setzte mich. Er setzte sich mir gegenüber und wir fingen an, die Bücher, die er, wie er mir erzählt hatte, aus der Bücherei ausgeliehen hatte, nach der Kernspaltung abzusuchen. Wir schrieben das Wichtigste heraus und unterhielten uns. Er war wirklich sehr nett. Man konnte gut mit ihm reden. Zwischendurch durchstöberten wir auch noch ein wenig im Internet und druckten die entsprechenden Artikel aus.
„Nochmal wegen Physik.“ begann ich.
„Och komm! Das ist doch jetzt gelaufen.“ sagte er.
„Ich fühl mich aber schlecht. Du kannst doch nichts dafür, dass ich nicht lerne und dann auch noch zu dumm zum Spicken bin!“
„Ich musste das tun.“
„Warum?“
Tim stand auf und drehte mir den Rücken zu.
„Weil… wenn du sitzen bleibst, dann bist du nächstes Jahr nicht mehr in meiner Klasse.“
„Mit einer 5 bleibt man nicht sitzen.“ Ich stand ebenfalls auf. Mit einem Schlag war mir wieder schwindelig.
„Du gibst keine Ruhe oder?“ fragte er bissig, drehte sich um und kam langsam auf mich zu.
„Nein.“ sagte ich.
„Ok…das war nicht der einzige Grund.“ Er kam immer näher und ich wich immer weiter zurück. Ich stieß mit dem Rücken an die Wand.
Er platzierte seine Hände links und rechts neben meinem Kopf.
„Ich dachte, du hättest es bemerkt.“
Mir war so schwindelig, dass ich ihn nur noch verschwommen vor mir sah.
„Was?“ fragte ich mit versagender Stimme.
„Seit ich dich das erste Mal sah, am Flughafen, bin ich in dich verliebt.“
Ich hörte ihm kaum zu, aber das was ich hörte, klang wie in einem Traum. Träumte ich?
Plötzlich spürte ich etwas warmes, weiches auf meinen Lippen und alles wurde schwarz.